Premiere 26.11.2011 › Kleines Haus 1

Die schmutzigen Hände

von Jean-Paul Sartre
Auf dem Bild: Torsten Ranft, Stefko Hanushevsky, Thomas Eisen, Antje Trautmann
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Torsten Ranft
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Stefko Hanushevsky, Thomas Braungardt
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Stefko Hanushevsky
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Stefko Hanushevsky
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Torsten Ranft, Stefko Hanushevsky, Thomas Eisen, Annika Schilling
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Annika Schilling, Stefko Hanushevsky, Torsten Ranft, Thomas Eisen
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Stefko Hanushevsky, Annika Schilling
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Wolfgang Michalek, Annika Schilling
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Stefko Hanushevsky
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Stefko Hanushevsky, Annika Schilling
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Stefko Hanushevsky, Torsten Ranft, Thomas Eisen, Annika Schilling
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Stefko Hanushevsky
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Annika Schilling
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Stefko Hanushevsky
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Antje Trautmann, Stefko Hanushevsky, Annika Schilling
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Antje Trautmann, Stefko Hanushevsky, Annika Schilling
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Wolfgang Michalek, Annika Schilling
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Stefko Hanushevsky
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Stefko Hanushevsky, Wolfgang Michalek
Foto: Matthias Horn

Handlung

Der Intellektuelle Hugo, Herausgeber einer revolutionären Zeitung, will endlich wirklich etwas tun und ergattert den Auftrag einer revolutionären Gruppe, den Politiker Hoederer zu ermorden. Hoederer wiederum sagt von sich, er habe „schmutzige Hände bis zum Ellenbogen“ – und er glaube nicht, dass man „unschuldig herrschen“ könne. Sartres Stück von 1948, das im fiktiven Staat Illyrien spielt, erzählt, wie es dazu kommt, dass der Intellektuelle den Politiker erschießt. „Die schmutzigen Hände“ ist ein Politthriller mit Verhandlungen hinter geschlossenen Türen, unsauberen Geschäften und polit-taktischen Volten; mit Personenschützern, Ehefrau und Revolver; es erzählt von Eifersucht, Angst, Verstrickung und Ausnahmezustand. Zugleich aber ist Sartres Stück ein intelligentes Spiel des Widerspruchs zwischen reinem Idealismus und bloßem Pragmatismus. Wer macht sich wie die Hände schmutzig, weil er nicht wirklich etwas tun will, und wer nimmt die Sachzwänge nur als Gewissensberuhigung? Und schließlich stellt es die Grundsatzfrage: Soll man Andersdenkende töten, wenn es der Sache dient?

Besetzung

Regie
Simon Solberg
Bühne
Maren Greinke
Musik
Roman Keller
Video
Valérie-Françoise Vogt
Licht
Björn Gerum
Dramaturgie
Ole Georg Graf
Hoederer
Wolfgang Michalek
Hugo
Stefko Hanushevsky
Olga
Antje Trautmann
Jessica
Annika Schilling
Louis, Slick, Karsky
Iwan, Georges, Der Regent
JPS
Thomas Braungardt

Video

Schmutzige Hände bis zum Ellenbogen

Der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum im Gespräch mit dem Regisseur Simon Solberg über Jean-Paul Sartres „Die schmutzigen Hände“. Das Interview führte die Dramaturgin Julia Weinreich.
In Sartres „Die schmutzigen Hände“ sagt der Politiker Hoederer von sich, er habe „schmutzige Hände bis zum Ellenbogen“ und glaube nicht, dass man unschuldig herrschen könne. Kann man Theater und Politik machen, ohne sich automatisch die Hände schmutzig zu machen?
Simon Solberg: Traumhaft wäre es, aber in unserer Gesellschaft, die ausschließlich auf Gewinnmaximierung basiert, wird es fast unmöglich sein. Wenn man nicht aufpasst, steckt man allein durch den täglichen Konsum bis zu den Schultern im Blut der Dritten Welt.
Gerhart Baum: Man kann nicht leben, ohne sich die Hände schmutzig zu machen. Man gerät in Widersprüche.
Solberg: Hoederer macht sich die Hände schmutzig, indem er mit den Faschisten koaliert mit der Begründung, dass ansonsten viel mehr Leute sterben würden.
Baum: Gehen wir mal vom Heute aus: Nach dem 11. September 2001 hat Herr Gaddafi gesagt, er bekämpft al-Qaida, und der Westen ist ein Bündnis mit ihm eingegangen. Die ganze Menschenrechtspolitik nach dem 11. September wurde dem Kampf gegen den Terrorismus untergeordnet. Wer dem Westen geholfen hat, wurde akzeptiert und in Ruhe gelassen, wenn es um die inneren Verhältnisse dieser Staaten ging. Die Menschenrechtsverletzungen wurden dann eher hingenommen. Das ist natürlich absolut prinzipienlos, aber ein Stück, wenn auch kritikwürdiger, Realpolitik.

Wie stehen Sie denn dann jetzt zu der Entscheidung der FDP in Bezug auf Libyen?
Baum: Es war eine Fehlentscheidung. Man kann nicht die Menschenrechte preisen und dann ein bevorstehendes Massaker nicht verhindern wollen. Das ist ja kein x-beliebiger Krieg, über den man lange nachdenken kann. Es ging darum, in Bengasi eine Situation wie seinerzeit in Ruanda – natürlich nicht in dieser Dimension – zu vermeiden. Das ist genau die Schutzverantwortung, wie sie 2005 der Millenniumsgipfel der UN beschlossen hat. Politische Abwägungsprozesse sind immer wieder schwierig, und mitunter muss man Kompromisse gegen eigene Prinzipien machen. Das ist das Leben, das ist aber auch Politik. Die Frage ist nur, wie weit bringt man den Mut auf, den Versuchungen der Unfreiheit zu widerstehen. Auch die Intellektuellen stehen vor solchen Herausforderungen. In der Zeit der Faschisten haben Intellektuelle, auch in Frankreich, Sympathien für den kommunistischen Stalinismus demonstriert und Pilgerfahrten nach Moskau unternommen. Obwohl dort ein Schreckenssystem herrschte. So wurden in Serie Todesurteile gegen politische Gegner vollstreckt.

Wie steht es denn dann um unsere Intellektuellen heute in Deutschland?
Solberg: Wäre ich selber intellektuell, könnte ich hierauf sicher treffender antworten. Ich nehme die Intellektuellen derzeit nahezu nicht wahr, abgesehen von vereinzelten Stellungnahmen z. B. zur Beendigung des Afghanistan-Krieges.
Baum: Intellektuelle haben eine besondere Verantwortung. Zur jetzigen Debatte um Libyen gibt es ja einen Intellektuellen mit starker Wirkung: Bernard-Henri Lévy. Oder nehmen Sie Heinrich Böll und Max Frisch in der RAF-Diskussion, Günter Grass in der fundamentalen Verfassungsdebatte der 1990er-Jahre, die dann zur Zerstörung des Asylrechts führte.

Sollten sich Intellektuelle stärker in die Tagespolitik einmischen?
Baum: Intellektuelle sollten sich nur melden, wenn die Grundwerte unserer Gesellschaft in Gefahr sind.

Die Intellektuellen sind das eine. Doch was ist mit uns? Wie gehen wir damit um, was um uns herum passiert? Unsere Sorge scheint zu sein, dass sich die Gesellschaft in ihre Privatheit zurückzieht und das, was Hugo im Stück antreibt, überhaupt nicht mehr im Kopf hat.
Solberg: Den unbedingten Wunsch sich zu positionieren und kritischen Worten Taten folgen zu lassen – diese Sehnsucht geht momentan bei vielen Menschen in der bloßen Alltagsbewältigung unter. Viele laufen gesellschaftlich generierten Maximalansprüchen nach, so dass sie im politischen Leben nicht selten den Weg des gering-sten Widerstandes gehen. Und der ist, sich nicht zu äußern. Ich teile Hugos Sehnsucht nach schwarz und weiß, richtig und falsch und dem Mut aus dem Elfenbeinturm herauszugaloppieren und Robin-Hoodesk durch die Gesellschaft zu preschen. Am ehesten finde ich mich in Hugos Scheitern wieder, da es eben kein schwarz-weiß mehr gibt; man läuft Gefahr durch die ständige Reflektion und Relativierung darüber gebremst und entmutigt zu werden. Deshalb finde ich, dass wir Theaterschaffende so eine Hugo-Funktion haben. Und deswegen hat mich die Rolle des Hugo so angesprochen.

Ist die Figur des Hugo vergleichbar mit dem Wutbürger, den wir jetzt bei Stuttgart 21 erleben, oder dem Bürger, der gegen Atomkraft auf die Straße geht? Steht dahinter auch die Motivation, etwas zu tun? Ist das das Ende der Politikverdrossenheit? Oder verflacht das Thema nach dem Wahlkampfgegockel sofort wieder? Stand hier nur die Totalemotionalisierung eines Themas im Vordergrund?
Baum: Nein, gute Frage. Es verändert sich tatsächlich etwas im allgemeinen Bewusstsein. Der Bürger möchte stärker mitentscheiden. Das muss natürlich mit Rücksicht auf das Gemeinwohl geschehen und nicht nur emotional und egoistisch. Das sind Lernprozesse. Aber Sie haben recht, da bewegt sich etwas.
Solberg: Momentan erleben wir ein Revival des Bio-Hypes. Ich bin gespannt, wie sich die Industrie die Anti-AKW-Bewegung zu Nutzen machen wird. Man beachte nur die schwarz-gelbe Regierung, die urplötzlich ein ökologisches Bewusstsein vorgaukelt. Und dass obwohl die Bürger unter dieser Regierung erlebt haben, dass große Teile der Politik die Beziehung zur Wirtschaft und privatökonomische Folgen viel wichtiger sind als Bürgerinteressen wie soziale Standards, Gleichberechtigung oder Nachhaltigkeit im Umgang mit unserer Umwelt. Unsere Politik funktioniert rein lobbyistisch. Beispielsweise stellt es die personelle Zusammensetzung einer Kommission für neue EU-Umweltrichtlinien für die chemische Industrie vor in der neben Politikern auch Lobbyisten von basf mitwirken. Die Unternehmen entscheiden selbst, welche gesetzlichen Rahmenbedingungen für ihr Handeln gelten sollen. Das ist wie bei Hoederer. Hinter ihm stehen Menschen, die von ihren eigenen Machtinteressen geleitet sind und Hoederer so agieren lassen, wie er agiert. Er schiebt den Grund nur vor, dass es – schließt er nicht den Pakt mit den Faschisten – ansonsten zu viele Opfer gäbe. Da wird nur die eigene Tatenlosigkeit überblendet.
Manche Handlungen im Stück sind von Ideen geprägt, manche von der realen politischen Situation, in der Hugo und Hoederer stecken. Verändert Realpolitik die eigenen ursprünglichen Ideen?
Solberg: Beim Theater laufen Ideen und Realpolitik oftmals gegeneinander. Die Ideen, die man hat, sind oft aus den einfachsten Gründen nicht umsetzbar. Von Brandschutzsicherheit, Budgets und festen Zeitrahmen für Proben und Premieren mal abgesehen sind uns vorrangig physische und ideelle Grenzen gesetzt. Die physische Begrenzung animiert natürlich phantasievolle Übersetzungen zu finden. Nehmen wir z. B. an, eine Figur kann nicht fliegen, obwohl sie diese Fähigkeit bräuchte, um ihre Liebe einer anderen Figur gegenüber auszudrücken: Dann ist es spannend, das Scheitern dieser Figur beim Versuch die physischen Grenzen zu überwinden, mitzuerleben. Viel schlimmer sind realpolitische Ansichten bezüglich geplanter Zielgruppen und Sehgewohnheiten vom Abo-Publikum beispielsweise, die es zu respektieren gilt. Die verleiten zu Entscheidungen, die mit Abstand betrachtet, nicht mehr kongruent sind zu der eigenen Sehnsucht und dem Antrieb, aus dem heraus man Theater macht. Es gibt immer ein Abwägen zwischen den Ideen und den realen Verhältnissen. Trotzdem geht es darum, die Ideen groß werden zu lassen. Sie dürfen nicht durch die öffentliche Meinung getötet werden. Siehe schlechte Kritiken zu einer Inszenierung.
Baum: Eine schlechte Kritik heißt ja nicht zwingend, dass die Inszenierung tatsächlich schlecht ist.
Solberg: Das stimmt. In erster Linie habe ich einen Auftrag: Ich will mein Publikum erreichen, mit ihm neue Wege beschreiten. Als Politiker haben Sie doch sicherlich auch einen Auftrag an sich selbst, oder?
Baum: Ich bin einerseits von der Nazizeit in Dresden und andererseits von der Nachkriegszeit, die eine Nachnazizeit war, geprägt. Ich hatte mit meinen Freunden Sorge, dass diese Demokratie nicht gelingen könnte. Das war, wenn Sie so wollen, ein idealistisches Ziel, das ich nie aus den Augen verloren habe. Dem gilt mein Kampf für die Menschenwürde, das wirklich prägende Prinzip unserer Grundrechtsordnung. Das Grundgesetz ist unsere Leitkultur und nichts anderes!

Wo liegen Ihre jeweiligen Sympathien im Stück – bei Hugo oder bei Hoederer?
Solberg: Toll wär’s, wenn die Sympathien in einer Szene fünfmal wechseln. Wenn ich dauernd sagen könnte: Ah, das kann ich verstehen, aber das kann ich auch verstehen! So dass ich mich als Betrachter immer wieder verhalten und neu positionieren muss.
Baum: Das finde ich gut! Wo meine Sympathien liegen, vermag ich nicht so klar zu sagen. Hugo scheint anfänglich von seinem Attentat überzeugt. Aber er vollzieht es aus meiner Sicht letztendlich nicht konsequent aus politischer Überzeugung, sondern auch aus dem Affekt, in den ihn die Eifersucht getrieben hat.

Wenn man politisch wirklich etwas bewegen will, sollte man da eher ins Theater oder in die Politik gehen?
Solberg: Ich würde da eine Dritteltaktik vorschlagen: mit einem Drittel ins Theater, mit einem Drittel in die Politik und mit einem Drittel auf die Straße.
Baum: Ich bin der Meinung, jeder macht das, was er am besten kann. Mein Leben war und ist Politik. Sie, Herr Solberg, haben sich entschlossen, zum Theater zu gehen. Unsere Gesellschaft braucht das Theater! Es braucht Theatermacher, die sensibel sind für die Veränderungen in unserer Gesellschaft. Sie im Theater können mit Ihren Visionen in die Zukunft vorstoßen. Das kann doch unglaublich inspirierend sein!
Solberg: Ja, das ist unser großes Glück. Wir lassen uns im Theater von außen inspirieren, forschen an den Fragestellungen, erspinnen uns mögliche Lösungen und Utopien, um damit wieder das Außen zu inspirieren und zu provozieren. Unser Gespräch ist eigentlich einer Inszenierung sehr ähnlich. Julia leitet den Geschichtsstrang durch ihre Fragen und durch unser Verhalten dazu inspirieren und provozieren wir uns gegenseitig zu Gedanken, die wir vielleicht vorher nicht hatten. Alleine schon, weil wir aus unterschiedlichen Bereichen und Generationen kommen. Im Endeffekt ist das exakt die Situation, zu der ich das Publikum einladen möchte: die auf der Bühne entstandenen Fragen in andere umzuformen bzw. weiterzudenken. Und vor allem: sich davon inspirieren zu lassen.

Gerhart Baum, der 1932 in Dresden geboren wurde, war zur Zeit des „Deutschen Herbstes“ Bundesminister des Innern. Als Kind erlebte er die Bombardierung Dresdens in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945, seine Familie floh im Anschluss nach Köln. Dort absolvierte Baum nach dem Abitur ein Studium der Rechtswissenschaft. Seit 1994 arbeitet Baum als Rechtsanwalt. Als Senior-Partner einer renommierten Anwaltskanzlei hat er die Opfer des Ramstein-Unglücks, die Angehörigen der beim Concorde-Absturz Verunglückten und die sowjetischen Zwangsarbeiter gegen die Bundesregierung vertreten.

Simon Solberg wurde 1979 in Bonn geboren. Er studierte Schauspiel an der Folkwang Hochschule in Essen und wechselte anschließend ins Regiefach. Am Nationaltheater Mannheim war er von 2006 bis 2008 Hausregisseur. Seitdem inszeniert er regelmäßig am Maxim Gorki Theater Berlin und am Deutschen Theater Berlin sowie am Theater Basel. Solberg gilt als Spezialist für radikale Neuinterpretationen klassischer Stücke. Am Staatsschauspiel Dresden inszenierte er 2009.2010 Shakespeares ROMEO UND JULIA und in der darauffolgenden Spielzeit Lessings MINNA VON BARNHELM.