Premiere 05.10.2013 › Schauspielhaus

Emilia Galotti

Bürgerliches Trauerspiel von Gotthold Ephraim Lessing
Auf dem Bild: Sebastian Wendelin, Lea Ruckpaul
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Sebastian Wendelin, Ben Daniel Jöhnk
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Lars Jung, Tom Quaas
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Tom Quaas, Christine Hoppe
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Sebastian Wendelin, Lea Ruckpaul
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Sebastian Wendelin, Lea Ruckpaul
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Sebastian Wendelin, Ben Daniel Jöhnk
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Christine Hoppe, Tom Quaas
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Lea Ruckpaul, Sebastian Wendelin, Christine Hoppe
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Christine Hoppe, Lea Ruckpaul, Christian Clauß
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Christine Hoppe, Ben Daniel Jöhnk, Christian Clauß, Lea Ruckpaul
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Johanna Quade, Marie Gutzeit, Pauline Kästner, Sebastian Wendelin, Jessica Magdalena Graeber
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Darja Mager, Paula Schönig, Jessica Magdalena Graeber, Sebastian Wendelin, Johanna Quade, Marie Gutzeit, Luisa Mühl, Maria Geringer, Pauline Kästner
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Jessica Magdalena Graeber, Sebastian Wendelin, Johanna Quade, Pauline Kästner, Paula Schönig, Marie Gutzeit, Ben Daniel Jöhnk
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Sebastian Wendelin, Ben Daniel Jöhnk
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Ben Daniel Jöhnk, Lea Ruckpaul, Pauline Kästner
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Ben Daniel Jöhnk, Lea Ruckpaul, Pauline Kästner
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Lea Ruckpaul, Ben Daniel Jöhnk, Pauline Kästner
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Ben Daniel Jöhnk, Sebastian Wendelin, Lea Ruckpaul
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Ben Daniel Jöhnk, Sebastian Wendelin, Lea Ruckpaul
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Ben Daniel Jöhnk, Sebastian Wendelin, Lea Ruckpaul
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Sebastian Wendelin, Ben Daniel Jöhnk, Lea Ruckpaul
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Sebastian Wendelin, Lea Ruckpaul
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Ben Daniel Jöhnk, Sebastian Wendelin, Lea Ruckpaul
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Ben Daniel Jöhnk, Lea Ruckpaul, Sebastian Wendelin
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Lea Ruckpaul, Sebastian Wendelin
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Sebastian Wendelin, Lea Ruckpaul
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Ben Daniel Jöhnk, Lars Jung
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Karina Plachetka, Ben Daniel Jöhnk
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Tom Quaas, Lea Ruckpaul
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Tom Quaas, Karina Plachetka, Luisa Mühl, Christian Clauß, Christine Hoppe, Paula Schönig, Marie Gutzeit, Lea Ruckpaul, Darja Mager, Jessica Magdalena Graeber, Sebastian Wendelin
Foto: Matthias Horn

Handlung

Als der Prinz von Guastalla zufällig der Bürgerstochter Emilia begegnet, will er sie unbedingt haben. Während der Messe in der Kirche bedrängt er sie, Emilia flüchtet. Marinelli, der Kammerherr des Prinzen, organisiert einen Überfall auf Emilia und ihren Verlobten Appiani, die auf dem Weg zur Hochzeit sind, Appiani wird tödlich verletzt. Scheinbar wird Emilia gerettet und auf das Lustschloss des Prinzen „in Sicherheit“ gebracht, der dort schon auf sie wartet. Der Prinz und sein Kammerherr geben den Überfall als Verbrechen einer Gruppe von Wegelagerern aus. Als Gräfin Orsina – die aktuelle Geliebte des Prinzen – und Emilias Vater Odoardo im Schloss auftauchen, spitzt sich die Situation zu. Odoardo erkennt, dass er unter der Willkürherrschaft des Prinzen seine Tochter nicht wird retten können. Emilia fürchtet sich vor ihrer eigenen Verführbarkeit.
In Lessings bürgerlichem Trauerspiel von 1772 steht eine junge Frau im Zentrum, die in einer Welt von Macht, Doppelmoral und Rigidität zum Spielball wird. Allein im Tod sieht Emilia ihre letzte freie Entscheidung.
„Emilia Galotti“ inszeniert Sandra Strunz, die am Staatsschauspiel Dresden schon bei Dirk Lauckes „Für alle reicht es nicht“, Büchners „Woyzeck“, der Bürgerbühnen-Produktion „Die Zärtlichkeit der Russen“ sowie zuletzt bei der Uraufführung von Cornelia Funkes „Reckless II – Lebendige Schatten“ Regie führte. Die Rolle der Emilia spielt Lea Ruckpaul, als Prinz ist Sebastian Wendelin zu sehen.

Besetzung

Regie
Sandra Strunz
Bühne
Volker Hintermeier
Kostüme
Daniela Selig
Musik
Rainer Süßmilch
Choreografie
Ted Stoffer
Dramaturgie
Ole Georg Graf
Emilia Galotti
Lea Ruckpaul
Odorado Galotti, <i>Vater der Emilia</i>
Tom Quaas
Claudia Galotti, <i>Mutter der Emilia</i> / Conti, <i>Maler</i>
Graf Appiani, <i>Emilias Verlobter</i>
Christian Clauß
Hettore Gonzaga, <i>Prinz von Guastalla</i>
Sebastian Wendelin
Marinelli, <i>Kammerherr des Prinzen</i>
Ben Daniel Jöhnk
Gräfin Orsina
Angelo
Lars Jung
Battista / Chor
Pauline Kästner
Schlagzeug
Luisa Mühl
Chor
Maria Geringer, Jessica Magdalena Graeber, Marie Gutzeit, Darja Mager, Luisa Mühl, Johanna Quade, Paula Schönig

Video

Wer kein Gesetz achtet

„Emilia Galotti“ und das Verbrechen. Notizen einer Theatergängerin, die sich beruflich mit Kriminalität beschäftigt

von Verena Mayer
Wenn man lange als Gerichtsreporterin arbeitet, befällt einen irgendwann eine zweifelhafte Berufskrankheit: Man wittert überall Verbrechen. Egal an welchen Orten, in welcher Situation, bei welchen Stichworten – sofort beginnt im Kopf ein Film abzulaufen, von Räubern, Kindstötungen, Vergewaltigungen, von Morden aus Eifersucht, Hass oder Habgier. Ganz schlimm ist es am Theater. Schon die Versuchsanordnung einer Theaterbühne hat Ähnlichkeiten mit einem Gerichtssaal. Hier wie dort ein abgeschlossener Raum, in dem nach der Wahrheit geforscht wird. Rollen werden angenommen, den Beteiligten sind bestimmte Plätze zugewiesen, Richtern, Staatsanwälten und Verteidigern sogar eine vorgegebene Bekleidung. Jeder, der eintritt, weiß: Es geht um den Menschen und darum, wozu er fähig ist. Im Guten, aber vor allem im Schlechten.
Und erst die Kriminalität, die in Theaterstücken passiert! Die Verbrechen aus Lessings „Emilia Galotti“ könnten in jedem deutschen Gerichtssaal verhandelt werden. Ein Mächtiger vergreift sich an einer Untergebenen. Eine Familie wird überfallen und ausgeraubt, eine Frau entführt. Ein Vater treibt seine Tochter in den Tod, weil sie seinen Wertvorstellungen nicht entsprechen kann. Das schreckliche Wort „Ehrenmord“ kommt einem in den Sinn, der Fall Hatun Sürücü. Die junge Frau, Mutter und gelernte Elektroinstallateurin, wurde 2005 an einer Berliner Bushaltestelle von ihrem Bruder erschossen, weil sie nicht nach den Traditionen ihrer Familie lebte. Ein Bruder kam ins Gefängnis, der Rest der Familie kam davon. Was die Gewalt gegenüber Frauen betrifft, spiegelt sich in Lessings Fiktion von gestern die Rea­lität von heute: Es sind die Väter, die Bräutigame, die Herrscher, die über Leben und Tod von Frauen und Töchtern bestimmen. Emilia, die Titelgeberin, kommt in einigen wenigen Szenen vor, ansonsten sprechen die Männer.
Endgültig in die Gegenwart katapultiert wird man, wenn man sich die politische Kriminalität in „Emilia Galotti“ ansieht: Da ist ein Machthaber auf einem Lustschloss, der sein Handeln einzig nach seinen sexuellen Bedürfnissen ausrichtet. Strauss-Kahn und Berlusconi lassen grüßen. Die Bunga-Bunga-Partys des Letzteren finden zufällig im selben Italien statt, in dem Lessing 1772 sein Stück angesiedelt hat. Was von dem Prinzen Hettore Gonzaga zu halten ist, ist von Anfang an klar. Ein „Wollüstling“ sei er, sagt Emilias Vater. Und Emilias Mutter schätzt den Annäherungsversuch des Prinzen in der Kirche, von dem Emilia berichtet, richtig ein, wenn sie sagt, der Prinz hätte Emilias „Verachtung“ verdient. Dann rät sie der Tochter zu Verschwiegenheit: „Nimm es für einen Traum, was dir begegnet ist.“ Damit nimmt die tödliche Spirale des Schweigens und der Verdrängung ihren Lauf.
Als Politiker zeichnet sich der Prinz dadurch aus, dass er die Amtsgeschäfte vollkommen subjektiviert hat. Er kennt keinen Richter über sich und überlässt selbst die Entscheidung über ein Todesurteil seinen erotischen Launen. Er verhöhnt seine ehemalige Geliebte für angebliche Schönheitsmakel und missbraucht seine politische Autorität, um Emilia nachzustellen.
Wie dieser Mann Emilias Scham verletzt und sie durch peinliche Liebesschwüre aus der Bahn wirft – ein solcher Vorgang würde heute eine politische Karriere früher oder später beenden. Das Handeln des Prinzen lässt keinen Zweifel, dass die nächsten Optionen Nötigung und Vergewaltigung wären. Den Tod von Emilias Bräutigam während der Entführung nimmt er, wie es in der Sprache der Justiz heißt, billigend in Kauf. Ein Mord aus niederen Beweggründen, ein Fall für Lebenslang. Der Gerichtsreporterin fällt auf, dass dieser Prinz nicht nur als verkommenes Subjekt erscheint, das durch seinen Machtmissbrauch den ganzen Staat korrumpiert, sondern immer auch als Feingeist und Gefangener seiner Empfindungen. Die Hörigkeit und Untertänigkeit, die in seinem politischen System waltet, wirkt selbstverständlich und wird von seinen Untergebenen mitgetragen. Von Leuten wie Marinelli, die alles tun, um dem Prinzen zu gefallen, ihm das Gefühl zu geben, dass seine Macht unbegrenzt ist. Selbst die verhöhnte Gräfin Orsina spielt mit – bis sie selbst zur Ermittlerin wird und das Verbrechen aufdeckt.
Als Zuschauer wird man dadurch selbst Teil des Systems: Indem wir den Fokus auf den Intriganten Marinelli und seine Verbrechen richten, entwischt uns der Auftraggeber, wie dies aus der politischen Praxis hinreichend bekannt ist. Hier wünscht man sich sofort eine höhere Instanz, Ermittler, Richter, eine unabhängige Staatsanwaltschaft wie in Italien, die es mit Berlusconi aufnahm. Doch bei Lessing gibt es lediglich eine Fantasie von Selbstjustiz: „Wer kein Gesetz achtet, ist ebenso mächtig, als wer kein Gesetz hat“, sagt Emilias Vater. Dann stürzt sich seine Tochter in den Dolch.
Gerichts- und Theatersäle sind Bühnen der menschlichen Existenz. Man erfährt, wie sehr sich Dinge zuspitzen können, die das eigentlich nicht müssten. Der Mann, der glaubt, seine Konkurrenten beseitigen zu müssen. Die junge Frau, die sich mit einem älteren Mann einlässt, ungewollt schwanger wird und das Kind tötet. Kinder, die aus Hass ihre Eltern ermorden. Die Frau, die sich aus Angst, Schande über ihre Familie zu bringen, selbst tötet. Verbrechen, zu denen einem Theaterstücke einfallen und reale Fälle, Verbrechen, die eines gemeinsam haben: Die Ereignisse hätten an jedem Punkt ihres Verlaufs gestoppt werden können, durch eine Geste, ein paar Worte, eine Intervention, einen Wendepunkt. So wie die Morde in „Emilia Galotti“ hätten verhindert werden können, wenn nur einer der Beteiligten den Mund aufgemacht oder von seinen (falschen) Idealen abgelassen hätte. Doch es geht immer weiter, wird immer schlimmer. Verbrechen sind Tragödien. Am Theater wie in der Wirklichkeit laufen sie auf das Unweigerliche, auf den sinnlosen Tod zu.

Verena Mayer, geboren in Wien, ist Reporterin und Autorin und lebt in Berlin. Sie schreibt Essays, Reportagen und Literaturkritiken, u. a. für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und den „Tagesspiegel“. Sie war viele Jahre Gerichtsreporterin in Berlin.