Premiere 19.02.2010 › Kleines Haus 1

Leonce und Lena (2010)

von Georg Büchner
Auf dem Bild: Thomas Braungardt, Stefko Hanushevsky, Ahmad Mesgarha, Helga Werner, Mila Dargies, Karina Plachetka
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Ahmad Mesgarha, Helga Werner, Matthias Luckey
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Ahmad Mesgarha, Helga Werner, Matthias Luckey
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Thomas Braungardt, Ahmad Mesgarha, Matthias Luckey
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Thomas Braungardt, Stefko Hanushevsky, Helga Werner
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Mila Dargies, Karina Plachetka
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Thomas Braungardt, Stefko Hanushevsky, Ahmad Mesgarha, Helga Werner, Matthias Luckey, Mila Dargies, Karina Plachetka
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Thomas Braungardt, Stefko Hanushevsky, Mila Dargies
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Thomas Braungardt, Stefko Hanushevsky, Ahmad Mesgarha, Helga Werner
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Ahmad Mesgarha, Helga Werner
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Thomas Braungardt, Stefko Hanushevsky, Ahmad Mesgarha, Helga Werner, Matthias Luckey, Mila Dargies, Karina Plachetka
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Thomas Braungardt, Stefko Hanushevsky, Ahmad Mesgarha, Mila Dargies
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Thomas Braungardt, Ahmad Mesgarha, Mila Dargies
Auf dem Bild: Thomas Braungardt, Ahmad Mesgarha, Helga Werner, Mila Dargies
Foto: Matthias Horn
Auf dem Bild: Thomas Braungardt, Stefko Hanushevsky, Ahmad Mesgarha, Mila Dargies, Karina Plachetka
Foto: Matthias Horn

Handlung

Müßiggang ist aller Laster Anfang. – Was die Leute nicht Alles aus Langeweile treiben! Sie studieren aus Langeweile, sie beten aus Langeweile, sie verlieben, verheiraten und vermehren sich aus Langeweile und sterben endlich an der Langeweile und– und das ist der Humor davon – Alles mit den wichtigsten Gesichtern, ohne zu merken warum, und meinen Gott weiß was dabei. Alle diese Helden, diese Genies, diese Dummköpfe, diese Heiligen, diese Sünder, diese Familienväter sind im Grunde nichts als raffinierte Müßiggänger.

Müßiggang grassiert im Königreich Popo. Leonce, Kronprinz von Popo, zählt Sandkörner und übt, auf Steine zu spucken, während sein Vater, König Peter von Popo, über dem Philosophieren die Staatsgeschäfte vergisst. Erst die angeordnete Hochzeit zwischen Leonce und der ihm unbekannten Prinzessin Lena vom Nachbarstaat Pipi bringt Leben in den Ministaat und lässt den Prinzen mit seinem Freund und Seelenverwandten Valerio nach Italien fliehen. Auf der Flucht trifft er eine schöne Unbekannte: Prinzessin Lena, die ebenfalls vor der Hochzeit geflüchtet ist. Die beiden verlieben sich Hals über Kopf und beschließen zu heiraten. Verkleidet kehren sie nach Hause zurück und merken erst nach der Trauung, dass sie genau in dem ­Leben gelandet sind, vor dem sie zu fliehen versuchten.
Der Revolutionär Georg Büchner, der wegen seiner Flugschrift „Der Hessische Landbote“ steckbrieflich gesucht wurde und mit nur 23 Jahren im Exil starb, hat mit „Leonce und Lena“ nicht nur eine heitere Satire auf romantische Vorstellungen geschrieben, sondern auch einen zynischen Kommentar zu den Verhältnissen seiner Zeit: Der Absolutismus hat sich selber überlebt, das deutsche Kaiserreich zerfällt in zahlreiche Kleinstaaten, die adlige Schicht vertreibt sich die Langeweile, während das Volk Hunger leidet. „Ich glaube man muss die abgelebte moderne Gesellschaft zum Teufel gehen lassen“, schreibt er an seinen Freund und Verleger Karl Gutzkow. Doch die Revolution ist gescheitert und eine Veränderung der Verhältnisse nicht in Sicht. Dieser Situation zwischen Stagnation, Utopieverlust und Perspektivlosigkeit verpasst Büchner die heitere Maske des „Lustspiels“, wie er das Stück nennt. Die Gesellschaft befindet sich im Kreisverkehr, einen Ausweg gibt es nicht, und die kommende Generation macht auch nichts besser ... Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst!

Besetzung

Regie
Sabine Auf der Heyde
Bühne
Ann Heine
Kostüme
Johanna Pfau
Musik
Jacob Suske
Licht
Dramaturgie
Felicitas Zürcher
Prinz Leonce, Sohn von König Popo
Thomas Braungardt
Valerio
Stefko Hanushevsky
König Peter vom Reiche Popo
Hofmeister
Helga Werner
Rosetta
Matthias Luckey
Prinzessin Lena vom Reiche Pipi
Mila Dargies
Die Gouvernante

Video

Über das Stück

Wir müssen was treiben, was treiben

Ein Märchen über die Langeweile
von Felicitas Zürcher
Es waren zwei Königskinder Die Handlung von Büchners Lustspiel Leonce und Lena liest sich auf den ersten Blick wie ein Märchen: Ein Prinz soll heiraten, will aber nicht. Und die Prinzessin, die er heiraten soll, will auch nicht. Auf der Flucht aus dem Palast und dem Königreich finden sie absurderweise zueinander. Zufall? Vorsehung? Allerdings ist es bei Büchner nicht ein besonders kluger Bewerber, der drei Rätsel löst, und auch keine ausgenommene Schönheit, die den Schuh auf der Treppe verliert. Nein, es ist die Traurigkeit und Todessehnsucht des Gegenübers, die das Herz dieser Königskinder höherschlagen lässt: Er war so alt unter seinen blonden Locken, sagt Lena über den Unbekannten, und Schöne Leiche flüstert Leonce im Gefühlsüberschwang der Geliebten zu.

Es waren zwei Königskinder, die hatten einander nicht lieb Büchners Lustspiel kann auch unter der Folie des bekannten Volksliedes gelesen werden, das damit in sein Gegenteil verkehrt wird: Im Lied können sich die Liebenden nicht treffen, weil sie ein tiefes Wasser trennt; am Ende finden beide den Tod in den Fluten.
Leonce wünscht sich, kaum dass er sein Herz verloren hat, den Tod und will sich ins Wasser stürzen, doch sein Vertrauter Valerio versaut ihm die Stimmung. Stattdessen wird die Hochzeit mit der Unbekannten beschlossen und flugs vollzogen. Weil also der Tod als Ausweg nicht akzeptiert wird, nimmt Büchner seinen Figuren die Möglichkeit zur Tragik. Ihnen ist nicht, wie etwa Romeo und Julia, ein kurzes Glück, große Tragik und ewiger Nachruhm beschieden, sondern ein kurzer Moment der Euphorie und die Aussicht, in einem ewig währenden Alltag auszuharren. Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute.

Doch unter dieser märchenhaften und volkstümlichen Maske blitzt der schneidende Witz des Revolutionärs Georg Büchner sein Lustspiel ist eine bitterböse Satire auf die Verhältnisse seiner Zeit. Er veralbert die Kleinstaaten des Deutschen Kaiserreiches, die hier Ministaaten mit den Kinderfäkalsprachnamen Pipi und Popo und so winzig sind, dass man in einem halben Tag Dutzende davon durchquert. Die Grenzen von Popo sind vom Palast aus zu sehen, und darin geht höchstens mal ein Hund spazieren. Auch die Würdenträger des Absolutismus werden nicht verschont: König Peter von Popo ist zu nichts anderem in der Lage, als zu philosophieren: Die Substanz ist das an sich, das bin ich. Er vergisst darüber sogar seine Untertanen, an die er sich mittels eines Knotens im Taschentuch zu erinnern versucht, dessen Zweck er aber ebenfalls vergessen hat.
Ich glaube man muss die abgelebte moderne Gesellschaft zum Teufel gehen lassen, schrieb Büchner in einem Brief an seinen Freund und Förderer Karl Gutzkow. Zu was soll ein Ding wie diese zwischen Himmel und Erde herumlaufen? Das ganze Leben derselben besteht nur in Versuchen, sich die entsetzlichste Langeweile zu vertreiben. Sie mag aussterben, das ist das einzig Neue, was sie noch erleben kann.
Und so ist auch die Langeweile das eigentliche Thema des Lustspiels. Leonce langweilt sich, Dekadenz und Überfluss führen bei ihm zu Depression, Überdruss und einer Langeweile, die alle Gefühle betäubt. Büchner nimmt mit dem Motiv des Müßiggangs einerseits Bezug auf ein Ideal der Romantik und ihrer eskapistischen Tendenzen, das er wie das Märchen parodiert und ins Groteske steigert. Andererseits kritisiert er die überholte Lebensform des Adels und beschreibt den Gefühlszustand großer Kreise der Intellektuellen in der Zeit der metternichschen Restauration: Die Revolution ist gescheitert, jede Hoffnung auf Veränderung begraben und jeder politische Gedanke niedergedrückt. Das Leben der Vornehmen ist ein langer Sonntag, sie wohnen in schönen Häusern, sie tragen zierliche Kleider, sie haben feiste Gesichter und reden eine eigne Sprache; das Volk aber liegt vor ihnen wie Dünger auf dem Acker Das Leben des Bauern ist ein langer Werktag; Fremde verzehren seine Äcker vor seinen Augen, sein Leib ist eine Schwiele, sein Schweiß ist das Salz auf dem Tische des Vornehmen, schreibt Büchner im Hessischen Landboten, der Schrift, wegen der er Darmstadt verlassen und emigrieren musste.

Es würde aber zu kurz greifen, Leonce und Lena lediglich als Kritik auf die damaligen Verhältnisse zu lesen. Denn Büchner zeichnet eine gesellschaftliche Situation zwischen Utopieverlust und Perspektivlosigkeit. Ein Ausweg ist nicht möglich, die Gesellschaft befindet sich im Kreisverkehr, auch die kommende Generation wird nichts besser machen, und die Bauern, die Vivat-Rufe für den König trainieren, sind als revolutionäre Masse auch nicht ernst zu nehmen. So ist denn auch der Ausgang, den das Stück nimmt, so heiter wie banal: Der philosophierende König Peter dankt ab, Leonce übernimmt die Geschäfte und wird als Erstes die Uhren abschaffen, um ganz nach der Natur zu leben. Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst.