Dresdner Reden 2026
Seit nunmehr 34 Jahren laden die Sächsische Zeitung und das Staatsschauspiel Dresden Persönlichkeiten des nationalen und internationalen Kultur- und Geisteslebens ein, an einem Sonntagvormittag im Schauspielhaus eine Dresdner Rede zu halten. Menschen aus Politik, Kunst, Sport, Wissenschaft und Journalismus sprechen zu einem Thema ihrer Wahl und leisten damit einen Beitrag zum Diskurs der Gegenwart.
Termine
Redner*innen
Sonntag, 01.03.2026, 11.00 Uhr
Journalistin und Autorin
„Es ist nicht alles schlecht“
Den Auftakt macht am 1. März 2026 die Journalistin Jessy Wellmer. Die in Güstrow geborene Moderatorin präsentiert regelmäßig die ARD-TAGESTHEMEN und führte durch Reportagen wie MACHEN WIR UNSERE DEMOKRATIE KAPUTT? 2024 erschien ihr Buch DIE NEUE ENTFREMDUNG, in dem sie analysiert, warum Ost- und Westdeutschland einander erneut fremd zu werden drohen – und was dagegen hilft. Wellmer beschäftigt sich mit Fragen nach Identität, Zusammenhalt und gesellschaftlichem Wandel, so zuletzt zur Bundestagswahl 2025 mit WAS BEWEGT DEUTSCHLAND?
„Die Institutionen des demokratischen Landes – Regierungen, Verwaltungen, Gerichte, Parlamente, Parteien und auch die Medien – sind in die Defensive geraten. Auf meinen Reportage-Reisen durch das Land habe ich Skepsis, Misstrauen, schlechte Laune und auch Aggression gegenüber denen erlebt, die die Freiheit unserer Gesellschaft repräsentieren und schützen sollen. Ich bin Sorge, Dünnhäutigkeit, aber auch Trotz und Entschlossenheit begegnet. Ich möchte deshalb der Frage nachgehen, wie es gelingen könnte, das Gute zu sehen, wo der öffentliche Blick nur noch auf die Fehlleistungen gerichtet scheint. Es wird wenige überraschen, dass ich den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht nur für einen Teil des Problems, sondern auch für einen Teil der Lösung halte.“ Jessy Wellmer
Sonntag, 08.03.2026, 11.00 Uhr
Pianist
„Einander ein Zuhause sein. Vom Verlust geteilter Welt“
Am 8. März 2026 begrüßt das Staatsschauspiel Dresden dann den Pianisten Igor Levit. In Nizhni Nowgorod geboren, siedelte Igor Levit im Alter von acht Jahren mit seiner Familie nach Deutschland um. Sein Klavierstudium absolvierte er mit der höchsten Punktzahl in der Geschichte des Instituts in Hannover. Der Künstler begeistert seitdem nicht nur mit seinem innovativen und vielseitigen Klavierspiel, sondern auch mit politischem Engagement. Für seinen Einsatz wurde Igor Levit noch im selben Jahr der Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland verliehen.
„Solidarität wird zu Floskel, historische Erinnerung zum Ritual; wo einmal Gespräch möglich war, herrscht immer lauter das Schweigen von Feindseligkeit oder Apathie.
Ich erlebe die Gegenwart als Zeit der mutwilligen Zerstörung einer Welt, in der wir gemeinsam in Freiheit zuhause sein können. Es ist diese bedrohliche Erfahrung des Weltverlusts, die mich auf Grundlage meiner Biografie und meiner doppelten Identität als Jude und als Künstler über das Zuhause-Sein grundsätzlich nachdenken lässt. Jüdische Identität entwickelt sich seit dem babylonischen Exil aus der Erfahrung der Diaspora heraus: aus der Erfahrung von Entwurzelung, Fremde und Verfolgung.
In der Fremdwahrnehmung verschmelzen Judentum und Nomadentum: Der Jude als ‚heimatloser Geselle‘, als in ihrer Rastlosigkeit unheimliche Figur, ist ein zentraler Topos des Antijudaismus und Antisemitismus. Der Künstler wiederum steht als Figur jenseits sozialer Hierarchien und Konventionen – er ist in der gesellschaftlichen Imagination ein gleichsam Freischwebender.
In meiner Rede möchte ich der produktiven Kraft dieser exzentrischen Position nachgehen: Wo das Zuhause weder als Ort noch als gesellschaftliche Rolle festgelegt ist, eröffnet sich die Freiheit, Zuhause als eine schöpferische Praxis zu verstehen. Hier stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis Zuhause und Identität, Geborgenheit und Freiheit stehen? Verweist die Sehnsucht nach einem Zuhause auf ein existenzielles Bedürfnis, das uns Menschen eigentümlich ist? Und wie könnten wir es gegenseitig stillen? Was heißt es, einander ein Zuhause zu sein?“ Igor Levit
Sonntag, 15.03.2026, 13.00 Uhr
Historiker
„Europas Schlafwandler – damals und heute“
Am 15. März 2026 heißt das Staatsschauspiel Dresden den Historiker Sir Christopher Clark willkommen. Der in Australien geborene und in Großbritannien zum Ritter geschlagene Professor ist Spezialist auf dem Gebiet deutscher Kriegs- und Nachkriegsgeschichte. Sein epochales Werk über den Ersten Weltkrieg, DIE SCHLAFWANDLER (2013), führte jahrelang etliche Bestseller-Listen an und wurde international kontrovers diskutiert. Clarks akribische Detailkenntnis und sein multiperspektivischer Ansatz richten den Blick auf historische Zusammenhänge neu aus.
„Schlafwandeln wir erneut in einen großen Krieg? Wer an die heutige Situation in der Ukraine und Europa denkt und an die scheinbar unheilbar verworrenen internationalen Verhandlungsfallstricke, muss unwillkürlich an den Kontinent am Vorabend des Ersten Weltkriegs denken. Diese Analogie tut sich jedoch nicht erst in unseren Tagen auf: Schon 2014 hatte der 95-jährige Altkanzler Helmut Schmidt die Parallelen zwischen der heutigen Ukraine-Krise und der Situation in Europa 1914 beschworen. Ich möchte mich in meiner Dresdner Rede mit den Parallelen und Gegensätzen zwischen damals und heute befassen und fragen: Was passiert, wenn die Komplexität der Konfliktlage zwischen den globalen Playern des Putin’schen Russland und der Trump’schen USA selbst wie ein Alp auf die Gehirne der Entscheidungsträger drückt, vor allem auf die der Europäer?“ Sir Christopher Clark
Sonntag, 22.03.2026, 11.00 Uhr
Wissenschaftsjournalistin
„Das Nomadische Jahrhundert: Wie man den Klimawandel überlebt“
in englischer Sprache / mit Simultanübersetzung
Eine Woche später, am 22. März 2026, wird die britisch-australische Wissenschaftsjournalistin Gaia Vince über die Wechselwirkungen zwischen Klima, Migration und Arbeitskräftemangel sprechen. Ihr 2022 erschienenes Buch DAS NOMADISCHE JAHRHUNDERT wurde in die Longlist der Financial Times aufgenommen. Gaia Vince fragt in ihrer Rede danach, wie wir auf klimatische Veränderungen und daraus resultierende Bevölkerungsbewegungen reagieren können, um unsere Gesellschaft besser vorzubereiten. Sie liefert damit ein visionäres Manifest der Umsetzungsmöglichkeiten.
„In den kommenden Jahrzehnten werden mit der Erwärmung des Planeten extreme Wetterbedingungen häufiger auftreten und zu schwereren Katastrophen führen. Orte, an denen heute Milliarden von Menschen leben, werden zunehmend unbewohnbar sein. Diese Menschen werden dadurch gezwungen, in sicherere Gebiete umsiedeln zu müssen. Auch in vielen Kornkammern der Welt wird die Landwirtschaft schwierig oder unmöglich werden, wobei die Gefahr besteht, dass mehrere regionale Ernteausfälle die Krise noch verschärfen. Wie sollten wir auf eine heißere Welt mit bevorstehenden Bevölkerungsbewegungen reagieren, um unsere Gesellschaften und Städte darauf vorzubereiten? Welche Anpassungen können wir für unsere Infra- und die soziale Struktur, einschließlich der Staatsbürgerschaft und Regierungsführung, in Betracht ziehen?“ Gaia Vince