Die georgische Kulturszene steht seit Monaten unter Beschuss. Sie ist allen Arten von Repressionen durch die georgische Regierungspartei („Georgischer Traum“) ausgesetzt: „Gewalt, unrechtmäßigen Verhaftungen & Entlassungen, Bußgelder gegen Demonstranten und allen voran die Unterjochung der Kulturszene, hat erneut die Theater in die Schusslinie gerückt“, so berichtet aktuell Nino Haratischwili, georgisch-deutsche Theaterregisseurin, Dramatikerin und Romanautorin.
Jetzt ist das Royal District Theater, eines der wichtigsten Gegenwartstheater der georgischen Hauptstadt Tbilisi unter der künstlerischen Leitung von Data Tavadze in deren Fokus gerückt. Dieses bietet seinem Publikum qualitativ hochwertiges, modernes und politisches Theater. Data Tavadze hat sich jetzt mit einem Schreiben an uns gewandt, in dem er zur Solidarität aufruft und um Unterstützung bittet.
Data Tavadze, 1989 in Tiflis geboren, zählt zu den wichtigsten Regisseur*innen der jungen georgischen Generation. Er erhielt 2016 beim Fast Forward Festival den Preis der internationalen Jury. In der Spielzeit 2018/2019 inszenierte er erstmals am Staatsschauspiel Dresden (KABALE UND LIEBE). In der Saison darauf folgte TRANSIT nach dem Roman von Anna Seghers. Weitere Arbeiten in Deutschland entstanden u. a. am Staatstheater Karlsruhe, dem Deutschen Theater Berlin und dem Maxim Gorki Theater.
Von Data Tavadze und dem Team des Royal District Theatre, Tbilisi
Liebe Freunde und Kollegen,
wir möchten Sie über unsere gefährliche und schwierige Situation informieren und Sie um Ihre Solidarität und Unterstützung bitten.
Wie viele von Ihnen wissen, hat sich das Royal District Theatre stark in der georgischen Protestbewegung engagiert und steht seit fast 180 Tagen an der Spitze des zivilen Widerstands. Infolgedessen sind wir nun direkten und eskalierenden Angriffen von staatlich kontrollierten Medien und bestimmten Gruppierungen innerhalb der Kirche ausgesetzt, die unsere Aufführung von LIBERTÉ [Triggerwarnung] als „blasphemisch“ und „LGBT-Propaganda“ bezeichnen.
Der unmittelbare Auslöser für diesen Angriff war die illegale Aufzeichnung und wiederholte Ausstrahlung eines 30-Sekunden-Clips aus der Aufführung, die im Royal District Theatre stattfand. Das Filmmaterial – mit einem halbnackten Schauspieler und der Tonaufnahme des Textes – wurde vier Tage lang stündlich auf allen staatlich gelenkten Propagandakanälen ausgestrahlt.
Diese Kampagne ist weit über Kritik hinausgegangen. Das Patriarchat von Georgien hat gedroht, uns zu exkommunizieren, und damit extremistische Gruppen ermutigt, ungestraft gegen uns vorzugehen. Wir sehen uns einer Flut falscher Anschuldigungen, öffentlicher Diffamierungen und falscher Darstellungen gegenüber – nicht durch Dialog, sondern durch systematische Versuche, unsere Stimmen zum Schweigen zu bringen und auszulöschen.
Am 10. Mai 2025 versammelte sich ein rechtsextremer Mob vor dem Theater, rief zu Gewalt auf und forderte die Schließung unserer Einrichtung. Diese Gruppen – einige mit bekannten russischen Verbindungen – haben private Informationen, einschließlich der Wohnadresse von Data Tavadze, weitergegeben, während sie offen zu körperlichen Schäden aufriefen. Eine Gruppe sogenannter „Tytushki“ griff Mitglieder unseres Publikums körperlich an und bewarf das Theater mit Eiern. Die Situation ist so ernst, dass einige von uns ernsthaft in Erwägung ziehen, das Land zu verlassen, um sich in Sicherheit zu bringen.
Unsere Inszenierung LIBERTÉ wurde zuletzt am 18. und 19. Mai im Warschauer Dramatischen Theater im Rahmen des Warschauer Theatertreffens aufgeführt. Die Leitung des Warschauer Dramatischen Theaters hat uns freundlicherweise angeboten, die Aufführungsserie in ihrem Theater aufzubewahren, da das Stück in Tiflis nicht mehr aufgeführt werden kann. (…)
Dies ist kein isolierter Angriff. In den letzten Monaten hat die Regierung die einzige Schule für Dramatiker in Georgien geschlossen – eine Schule, die Data Tavadze in den letzten 11 Jahren mitverwaltet hat. Kurz darauf wurde David Doiashvili als Direktor des Neuen Staatstheaters entlassen – das einzige öffentliche Theater, das die Protestbewegung offen unterstützt. Der Schauspieler Andro Chichinadze, Mitglied desselben Ensembles, ist bereits seit fünf Monaten unrechtmäßig inhaftiert, zusammen mit 50 weiteren Gefangenen, deren Zugehörigkeit niemand nachweisen kann.
Eine als „Anti-Maidan“ bekannte Gruppe, die eine Opposition gegen die echte pro-europäische Protestbewegung in Georgien simulieren soll, hat ein Gerichtsverfahren gegen Data Tavadze wegen angeblicher „Verletzung religiöser Gefühle“ angestrengt.
Wir teilen dies mit Euch/Ihnen, weil wir glauben, dass es wichtig ist, dass unsere Geschichte über Georgien hinaus gehört wird. Was uns widerfährt, ist Teil eines größeren Kampfes für Meinungsfreiheit, künstlerische Integrität und Demokratie.
Wir bitten Sie/Euch, sich an die Seite der georgischen Künstler zu stellen, unsere Geschichte zu teilen, sich zu äußern und uns zu helfen, dass das Licht der freien Meinungsäußerung nicht erlischt.
Mit Dankbarkeit,
Data Tavadze & Royal District Theatre
Tiflis, Georgien
„Die unabhängige georgische Kulturszene braucht die europäische Gemeinschaft, sie braucht Solidarität und sie braucht das Zeichen, dass sie nicht allein sind. Bitte helft“, so Nino Haratischwili, „uns die wenigen, georgischen Inseln der Meinungsfreiheit und des autonomen künstlerischen Schaffens zu wahren.“
Das tun wir. Richtet Sie/richtet Ihr Eure Aufmerksamkeit auf Georgien. Auf Künstler*innen, die mit Mut und Haltung für unsere gemeinsamen Werte einstehen. Sie brauchen unsere Solidarität. Jetzt.
#solidaritywiththeindependentgeorgiantheater
#solidaritywithroyaldistricttheatre