Premiere 21.06.2014 › Schauspielhaus

Der Selbstmörder

Komödie von Nikolai Erdman
In einer Bearbeitung von Thomas Birkmeir
Auf dem Bild: Lukas Mundas, Cornelia Kempers, Holger Hübner, Ahmad Mesgarha, Nina Gummich, Matthias Luckey, Pauline Kästner
Foto: David Baltzer
Auf dem Bild: Hannelore Koch, Anna-Katharina Muck, Ahmad Mesgarha
Foto: David Baltzer
Auf dem Bild: Anna-Katharina Muck, Ahmad Mesgarha
Foto: David Baltzer
Auf dem Bild: Ahmad Mesgarha
Foto: David Baltzer
Auf dem Bild: Matthias Luckey, Ahmad Mesgarha
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Auf dem Bild: Anna-Katharina Muck, Ahmad Mesgarha
Foto: David Baltzer
Auf dem Bild: Cornelia Kempers, Holger Hübner, Anna-Katharina Muck
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Auf dem Bild: Hannelore Koch
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Auf dem Bild: Holger Hübner, Ahmad Mesgarha
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Auf dem Bild: Holger Hübner, Ahmad Mesgarha, Cornelia Kempers
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Auf dem Bild: Holger Hübner, Ahmad Mesgarha, Hannelore Koch
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Auf dem Bild: Pauline Kästner, Ahmad Mesgarha
Foto: David Baltzer
Auf dem Bild: Pauline Kästner, Ahmad Mesgarha
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Auf dem Bild: Nina Gummich, Cornelia Kempers, Justus Pfankuch, Lukas Mundas, Lars Jung
Foto: David Baltzer
Auf dem Bild: Justus Pfankuch, Holger Hübner, Nina Gummich, Lukas Mundas
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Auf dem Bild: Justus Pfankuch, Nina Gummich, Holger Hübner
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Auf dem Bild: Justus Pfankuch, Nina Gummich, Lukas Mundas, Lars Jung
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Auf dem Bild: Matthias Luckey, Ahmad Mesgarha
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Auf dem Bild: Ahmad Mesgarha, Nina Gummich
Foto: David Baltzer
Auf dem Bild: Holger Hübner, Nina Gummich, Ahmad Mesgarha, Pauline Kästner, Matthias Luckey, Lars Jung
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Auf dem Bild: Holger Hübner, Ahmad Mesgarha, Matthias Luckey, Pauline Kästner
Foto: David Baltzer
Auf dem Bild: Nina Gummich, Holger Hübner, Ahmad Mesgarha, Matthias Luckey, Pauline Kästner, Cornelia Kempers
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Auf dem Bild: Anna-Katharina Muck, Ahmad Mesgarha
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Auf dem Bild: Lars Jung, Ahmad Mesgarha
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Auf dem Bild: Hannelore Koch, Anna-Katharina Muck
Foto: David Baltzer
Auf dem Bild: Anna-Katharina Muck, Hannelore Koch, Ahmad Mesgarha
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Auf dem Bild: Oleg Jampolski, Sebastian-Oliver Zimmer, Ahmad Mesgarha, Hans-Christian Hegewald
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Auf dem Bild: Ahmad Mesgarha
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Auf dem Bild: Hannelore Koch, Anna-Katharina Muck
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Auf dem Bild: Matthias Luckey, Hannelore Koch, Anna-Katharina Muck, Ahmad Mesgarha, Lukas Mundas, Pauline Kästner, Holger Hübner, Justus Pfankuch, Nina Gummich, Cornelia Kempers
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Auf dem Bild: Hannelore Koch, Anna-Katharina Muck, Ahmad Mesgarha, Holger Hübner, Pauline Kästner
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Auf dem Bild: Holger Hübner, Anna-Katharina Muck, Nina Gummich, Cornelia Kempers, Pauline Kästner, Matthias Luckey, Lukas Mundas
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Auf dem Bild: Justus Pfankuch, Lars Jung, Ahmad Mesgarha, Hannelore Koch, Anna-Katharina Muck
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Auf dem Bild: Hannelore Koch, Ahmad Mesgarha, Anna-Katharina Muck
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Auf dem Bild: Ahmad Mesgarha, Anna-Katharina Muck
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Auf dem Bild: Anna-Katharina Muck, Ahmad Mesgarha, Cornelia Kempers
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Auf dem Bild: Ahmad Mesgarha
Foto: David Baltzer
Auf dem Bild: Ahmad Mesgarha
Foto: David Baltzer
Auf dem Bild: Ahmad Mesgarha
Foto: David Baltzer
Auf dem Bild: Ahmad Mesgarha
Foto: David Baltzer

Handlung

Der arbeitslose Semjon Podsekalnikow wird nachts wach, weil er Hunger auf Leberwurst hat. Der anschließende Ehestreit mit seiner Frau Mascha treibt Semjon aus dem Schlafzimmer. Mascha, von der Angst gepackt, Semjon könnte sich gedemütigt fühlen und sich etwas antun, holt die Nachbarn zu Hilfe. Semjons Traum, Bass-Tuba zu lernen und sich als Orchestermusiker eine bürgerliche Existenz zu ermöglichen, zerplatzt an der Notwendigkeit, zum Tonleiternüben ein Klavier zu besitzen. Er tauscht sein Rasiermesser gegen eine Pistole – und ist plötzlich umgeben von Menschen, die ihre Hoffnungen in seinen Selbstmord setzen: Ein Priester fordert, Semjon möge sich für die Freiheit der Religion erschießen, der Schlachter wünscht sich Semjons Selbstmord als Protest gegen die Einschränkungen im Lebensmittelhandel, eine romantisch veranlagte Dame schlägt Semjon vor, er könne sich doch aus Liebe zu ihr umbringen – vor allem um ihre Chancen bei einem gewissen Oleg zu erhöhen –, und der Intellektuelle will Semjons Selbstmord als Mahnmal für die Meinungsfreiheit. Die neu gewonnenen Freunde zelebrieren Semjons bevorstehenden Selbstmord mit einem großen Abschiedsbankett, bezahlen das Begräbnis, sehen in Semjons Ehefrau Mascha die ideale Witwe – aber Semjon schafft es nicht, abzudrücken, selbst als er schon im Sarg liegt.
Nikolai Robertowitsch Erdman wurde 1900 in Moskau geboren. Sein erstes Stück, „Das Mandat“, wurde, wie auch sein zweites Stück, „Der Selbstmörder“, unter Stalin verboten, Erdmans kurze Laufbahn als Bühnenautor beendet und er selbst für Jahrzehnte verbannt. 1969 wurde „Der Selbstmörder“ in Göteborg uraufgeführt. Erdman kommentierte die Uraufführung mit den Worten: „Das wird mein Leben wohl nicht im Geringsten verändern, aber mein Schicksal als Schriftsteller hat sich offensichtlich schon gewendet.“ Er starb 1970 in Moskau.
Thomas Birkmeir wurde 1964 in München geboren. Nach dem Studium der Pädagogik, Psychologie und Philosophie schloss er seine Regieausbildung am Max Reinhardt Seminar in Wien ab. Am Schlossparktheater Berlin war er von 1998 bis 2000 als Oberspielleiter tätig. Seit 2002 ist er Künstlerischer Leiter am Wiener Theater der Jugend. Inszenierungen führten ihn u. a. ans Residenztheater München, ans Volkstheater Wien und ans Schauspiel Hannover. Außerdem ist er Gastprofessor am Konservatorium der Stadt Wien und am Max Reinhardt Seminar. Am Staatsschauspiel Dresden inszenierte er in der Spielzeit u. a. Nick Whitbys Komödie SEIN ODER NICHTSEIN, Shakespeares VIEL LÄRM UM NICHTS sowie Lutz Hübners BLÜTENTRÄUME.

Besetzung

Regie
Thomas Birkmeir
Bühne
Christoph Schubiger
Kostüme
Irmgard Kersting
Licht
Michael Gööck
Dramaturgie
Ole Georg Graf
Simon Podsek
Maria Podsek
Angela Jinisch, Marias Mutter
Petrowitsch, Nachbar und Spielhallenbesitzer
Margarita, Petrowitschs Gespielin
Cornelia Kempers
Dominik Grand-Skubik, ein Intellektueller
Matthias Luckey
Larissa, auch Poppy genannt
Pauline Kästner
Penélope La Mose, eigentlich Gerlinde Landmoser
Nina Gummich
Victor Pugatsch, Metzger
Lukas Mundas
Vinzenz Niklas Benjamin, junger Schriftsteller
Justus Pfankuch
Lukas Bram, Mitglied einer Ethikkommission
Lars Jung
Kranzträger, Sargträger
Hans-Christian Hegewald, Oleg Jampolski, Sebastian-Oliver Zimmer

Video

Pressestimmen

„Mit schwarzem Humor, Situationskomik und Hintersinn wirft die Aufführung Schlaglichter auf eine von Vorteilsnahme, Ausgrenzung und Zynismus ausgehöhlte Gesellschaft.“
Dresdner Morgenpost, Jörg Schneider, 23.06.2014
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23.06.2014
„Mit schwarzem Humor, Situationskomik und Hintersinn wirft die Aufführung Schlaglichter auf eine von Vorteilsnahme, Ausgrenzung und Zynismus ausgehöhlte Gesellschaft. Typen wie der Nichtsnutz Simon Podsek (in Hochform: Ahmad Mesgarha) passen da nicht rein. Große Kunst, wie Ahmad Mesgarha uns an seiner Einsicht teilhaben lässt, dass auch ein nutzloses Leben viel zu schön ist, um es selbst zu beenden. Großartig auch seine Widerparts (unter anderem Holger Hübner, Nina Gummich, Pauline Kästner), die einen zynischen Egotrip mit grotesken Selbstinszenierungen ad absurdum führen.“
Jörg Schneider, Dresdner Morgenpost
„Ein wahrlich tragikomischer Charakter, dieser Simon, dem Ahmad Mesgarha in vielen komödiantischen Facette Würde und Schwäche verleiht.“
Dresdner Neueste Nachrichten, Bistra Klunker, 23.06.2014
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23.06.2014
„Ein wahrlich tragikomischer Charakter, dieser Simon, dem Ahmad Mesgarha in vielen komödiantischen Facette Würde und Schwäche verleiht – er beherrscht das Aufschwingen der Figur vom Spießer zum herumkrakeelenden Möchtegern-Wichtigmann genauso wie das Zurückdrehen auf das Handtuchformat eines Versagers.“
Bistra Klunker, Dresdner Neueste Nachrichten
„Running Gags ja, Kasperei nein. Regisseur Birkmeir verbiegt sich nicht und stellt die Frage nach der Verwertbarkeit des Einzelnen bis über den Tod hinaus.“
Sächsische Zeitung, Rafael Barth, 23.06.2014
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23.06.2014
„Running Gags ja, Kasperei nein. Regisseur Birkmeir verbiegt sich nicht und stellt die Frage nach der Verwertbarkeit des Einzelnen bis über den Tod hinaus dort, wo das Publikum zu Hause ist: im Kapitalismus. Grandios, wie fischig-fies Matthias Luckey als Intelligenzler nach Beute guckt. Hannelore Koch überzeugt als arrogante Schwiegermutter und Holger Hübner als halbseidener Nachbar. Davon gern mehr.“
Rafael Barth, Sächsische Zeitung

Echte Helden leben länger

Klaus Cäsar Zehrer über Nikolai Erdmans Tragikomödie „Der Selbstmörder“ und den sinnlos-ehrenhaften Heldentod

Das Erstaunliche an der Aufführungsgeschichte von Nikolai Erdmans schwarzer Komödie „Der Selbstmörder“ ist nicht so sehr, dass das Stück in der Sowjetunion lange verboten war. Das Erstaunliche ist, dass die Zensurbehörden so lange zögerten, bis sie die Spielgenehmigung entzogen.
Erstaunlich ist das deshalb, weil man sich schwerlich vorstellen kann, dass die Funktionäre der frühen Stalinzeit lange überlegt haben müssen, was sie von diesem Text halten sollten. Sie können kaum überlesen haben, wie gründlich darin alles, was ihnen heilig war, bloßgestellt und verhöhnt wird.
Nur ein Jahrzehnt nach der Oktoberrevolution zeichnete Erdman eine Sowjetunion, in der es nicht, aber auch wirklich überhaupt nicht so aussieht, als würden zukunftsfrohe Volksmassen gemeinsam die Ärmel hochkrempeln, um freudig schaffend das Paradies der klassenlosen Gesellschaft aufzubauen. Stattdessen herrscht allenthalben vollkommene Utopielosigkeit. Nein, als Propagandastück, das für die Idee des Kommunismus begeistert, taugt „Der Selbstmörder“ wahrlich nicht.
Dementsprechend ist auch die Hauptfigur, ein ziemlich schlichtes Gemüt namens Semjon Semjonowitsch Podsekalnikow, alles andere als ein proletarischer Held. Ihn treibt kein höheres Ideal, sondern ein sehr irdischer Appetit auf Leberwurst und Zuckerei. Aber selbst diese bescheidenen Wünsche sind für ihn, den Arbeitslosen, kaum erfüllbar. Der einzige Berufswunsch, der ihm einfällt – Konzerttubaspieler –, ist abwegig genug, um damit kläglich zu scheitern. Aus Verzweiflung, oder vielmehr aus Lebensunfähigkeit, will er sich erschießen.
Nun nimmt die Handlung eine raffinierte, oder sagen wir ruhig: geniale Wendung. Semjons Leben war allen gleichgültig, aber sein angekündigtes Ende lockt Fremde in Scharen an. Jeder will von ihm profitieren, jeder verlangt von ihm, er solle seinen Tod in den Dienst einer guten Sache stellen – nämlich der jeweils eigenen. Der Priester Elpidius drückt es so aus: „Die Leiche soll Wasser auf unsere Mühle gießen.“ Und Grand-Skubik, ein Vertreter der Intelligenzija, erklärt: „Früher hatten die Leute eine Idee und wollten dafür sterben. Heute haben die Menschen, die sterben wollen, keine Idee, und die Menschen, die eine Idee haben, wollen nicht sterben. Mehr als je brauchen wir ideologische Leichen.“
Damit ist das Stück an seinem innersten Kern angelangt, bei der Idee des Heldentods, einer Idee, die so grotesk ist, dass sie nur in der Gattung der Groteske angemessen dargestellt werden kann. Es spielt nicht nur in der Sowjetunion der 1920er-Jahre, es spielt überall dort, wo ideologische Leichen gebraucht werden. Es spielt überall dort, wo Menschen sich überreden lassen, freiwillig für die Belange fremder Leute in den Tod zu gehen, für den nichtigen Lohn eines Ehrengrabs. Es spielt überall dort, wo diejenigen, die davon reden, dass es sich für eine bestimmte Sache zu sterben lohnt, nicht dieselben sind wie die, die tatsächlich dafür sterben.
Überall dort muss Erdmans Stück als Provokation gelten. Denn Semjon, der kleine Mann, merkt gerade noch rechtzeitig, was mit ihm gespielt wird. Er wollte sich das Leben nehmen, nicht es für andere geben. Und so lässt er endlich den Revolver sinken:  „Genossen, ich will nicht sterben: nicht für euch, nicht für die andern, nicht für die Klasse, nicht für die Menschheit. Unsern Aufbau, sämtliche Errungenschaften, Weltbrände, Eroberungen, das könnt ihr alles behalten. Gebt mir nur ein stilles Leben und ein anständiges Gehalt.“
So spricht ein wahrer Held, einer, der sich von niemandem etwas vormachen lässt, einer, der sein kleines Leben einem angeblich großen Tod vorzieht. Für das herrschende System, welcher Couleur auch immer, haben solche Helden freilich den Nachteil, dass sie im Wortsinne für nichts zu gebrauchen sind. Semjon erntet kein Lob für sein Bekenntnis zum Weiterleben und seine Weigerung, sich instrumentalisieren zu lassen, im Gegenteil, er muss sich als Egoist beschimpfen lassen: „Ein Feigling sind Sie, Bürger Podsekalnikow! Was Sie da eben gesagt haben, ist gradezu abscheulich.“
Im echten Leben ist es Nikolai Erdman, der sich mit seinem satirischen Plädoyer gegen das Heldenopfertum Ärger einhandelt. Mit gerade einmal 28 Jahren ist seine Karriere als Theaterautor praktisch am Ende, später wird er sogar für ein Jahr nach Sibirien deportiert. „Der Selbstmörder“, sein Haupt- und Meisterwerk, darf nicht gespielt werden. Heute gilt das Werk als Klassiker des schwarzen Humors, als eines der besten Theaterstücke der Sowjetzeit überhaupt.
Und so nimmt die Geschichte um Erdmans Stück ein ebenso gutes Ende wie das Stück selbst. So wie seine Hauptfigur Semjon schien es lange Zeit so gut wie tot, aber das Schicksal hat sich günstig gewendet. Es hat alle, die fest mit seinem Tod gerechnet haben, mit Leichtigkeit überlebt und lebt immer noch fort auf den Spielplänen der russischen und der internationalen Bühnen.
 
Klaus Cäsar Zehrer ist freier Autor und Herausgeber und lebt in Berlin. Er hat zum Thema Dialektik der Satire promoviert und schreibt u. a. Humorkritiken für das Satiremagazin „Titanic“. Zuletzt veröffentlichte er gemeinsam mit dem Illustrator Fil das Kinderbuch „Der Kackofant“.