Premiere 05.03.2016 › Kleines Haus 3

Unterwerfung

nach dem Roman von Michel Houellebecq
aus dem Französischen von Norma Cassau und Bernd Wilczek
für die Bühne eingerichtet von Janine Ortiz
Auf dem Bild: Christian Erdmann
Foto: David Baltzer
Auf dem Bild: Christian Erdmann
Foto: David Baltzer
Auf dem Bild: Christian Erdmann
Foto: David Baltzer
Auf dem Bild: Christian Erdmann
Foto: David Baltzer
Auf dem Bild: Christian Erdmann, Lea Ruckpaul
Foto: David Baltzer
Auf dem Bild: Lea Ruckpaul, Christian Erdmann
Foto: David Baltzer
Auf dem Bild: Lea Ruckpaul
Foto: David Baltzer
Auf dem Bild: Christian Erdmann
Foto: David Baltzer
Auf dem Bild: Lorenz Nufer
Foto: David Baltzer
Auf dem Bild: Christian Erdmann
Foto: David Baltzer
Auf dem Bild: Lorenz Nufer, Christian Erdmann
Foto: David Baltzer
Auf dem Bild: Ben Daniel Jöhnk, Christian Erdmann
Foto: David Baltzer
Auf dem Bild: Christian Erdmann, Ben Daniel Jöhnk
Foto: David Baltzer
Auf dem Bild: Christian Erdmann
Foto: David Baltzer

Handlung

Die Islamisierung des Abendlandes beginnt in Frankreich im Jahr 2022: Literaturwissenschaftler und Décadence-Forscher François pflegt lose ­Beziehungen zu seinen Studentinnen und verfolgt nebenher die Präsidentschaftswahlen. Als der charismatische Kandidat der „Bruderschaft der Muslime“, Mohamed Ben Abbes, immer mehr Stimmen auf sich vereinigt, kommt es zu bürgerkriegsartigen Unruhen. François flieht aufs Land. Noch vor seiner Rückkehr nach Paris hat sich der politische Wechsel vollzogen. Mit Mitte vierzig findet sich der Akademiker plötzlich bei voller Rente pensioniert. Rasant verändert die „Bruderschaft“ das Gesicht der Grande Nation. Ben Abbes führt die Theokratie, die Scharia, das Patriarchat und die Polygamie ein. Frauen bleiben Zuhause und kümmern sich um die Familie, was das Problem der Arbeitslosigkeit löst. Ausbildungswege werden verkürzt, Kleinunternehmer gestärkt. Erstaunt muss der Décadence-Forscher feststellen, dass er als Mitglied der geistigen Elite Frankreichs durchaus noch gefragt ist. Von allen Seiten versucht man, François den Islam und damit verbunden eine Rückkehr an die Universität schmackhaft zu machen. Verlockende Forschungsprojekte, mehr Gehalt, und drei bis vier wunderschöne, devote Ehefrauen – ist das die Lösung seiner Lebenskrise oder eine Unterwerfung?
In Michel Houellebecqs Spekulation avancieren die Muslime zu den Rettern unserer von Konsum und Egoismus geprägten, westlichen Welt. Und zwar auf eine Weise, die sämtliche Ängste und Sorgen, welche die Gegner des Islam umtreiben, neutralisiert. Eine bitterböse Satire, die dazu auffordert, unsere vermeintlich westlichen Werte zu hinterfragen. Der junge Regisseur Malte C. Lachmann setzt sich immer wieder mit der Rolle der Religion in unserer Gesellschaft auseinander: Seine Inszenierung von „Schwarze Jungfrauen“ von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel – ein Abend mit Monologen aus der Perspektive von Muslimas in Deutschland – gewann 2012 das Körber Studio Junge Regie. 2013 wurde sein Projekt „Protokolle von Toulouse“, das die letzten Gespräche des Attentäters Mohamed Merah verarbeitet, zum „Radikal jung“-Festival nach München eingeladen.

Besetzung

Regie
Malte C. Lachmann
Bühne und Kostüme
Ursula Gaisböck
Video
Robert Lehniger
Licht
Thomas Wildenhain
Dramaturgie
Janine Ortiz
Franҫois
Christian Erdmann
Steve / Alain Tanneur / Dom Jean-Pierre Longeat / Jean-François Loiseleur
Lorenz Nufer
Myriam / Marie-Françoise / Godefroy Lempereur
Lea Ruckpaul
Rediger
Ben Daniel Jöhnk

VIDEO

Die Logik der Gleichgültigkeit

Dresdner Islamhass und der falsch verstandene Pluralismus
von Marcus Krämer
Oft war die Rede vom Ernstnehmen in diesen bizarren Wochen in Dresden, und vielleicht war gerade dies von Beginn an das Problem: dass es so unendlich schwerfällt, der ganzen Sache mit der gebotenen Ernsthaftigkeit zu begegnen. Montag für Montag haben wir uns an das absurde Theater gewöhnt, bis selbst die hanebüchensten Sprüche bei den „Abendspaziergängen“ nur noch Schulterzucken bewirken. Spätestens dann aber wird es tragisch: wenn im Zentrum Dresdens, auf dem Altmarkt, Tausende Menschen einer reaktionären, natio­nalistischen, fremdenfeindlichen Rede zujubeln, immer wieder „Volksverräter!“ brüllen, Deutschlandfahnen schwenken – und kaum noch jemand sich darüber aufregen kann. Es sind solche Momente, die auf gespenstische Weise an Michel Houellebecqs Roman „Unterwerfung“ erinnern. Denn auch in dessen Frankreichvision ist es vor allem die Gleichgültigkeit, an der die offene Gesellschaft zugrunde geht.
Jawohl, reaktionär, nationalistisch, fremdenfeindlich. Das wird man wohl noch sagen dürfen. „Wir wollen hier keine dauerbeleidigten, dauerfordernden, unverschämten Minderheiten aus islamischen Ländern, die uns mit ihrem Koran und ihren Sonderrechten auf die Nerven gehen!“, ruft die Pegida-Hauptrednerin Tatjana Festerling am 30. März 2015 über den Altmarkt. Die Frau aus Hamburg wird eine Woche später als Kandidatin für die Oberbürgermeisterwahl in Dresden antreten. Sie redet sich in Rage: „Wir wollen auch nicht den Terror der schwul-lesbisch-queeren intersexuellen Minderheit, die unsere Kinder mit ihrem überzogenen Sexualscheiß schon in der Grundschule traumatisiert!“ Die Menge grölt. Dann fällt der Satz, der in all seinem Aberwitz das Demokratieverständnis der Pegida-Anhänger entlarvt: „Wir wollen keine Kopftücher in Schulen, ja wir wollen nicht mal die nervige Diskussion darüber!“ Tausende Wutmenschen, denen Woche für Woche das Demonstrationsrecht mitten in der Stadt gewährt wird, fordern auf Plakaten „Meinungsfreiheit“, verweigern aber jede Diskussion über Grundrechte, die ihnen nicht passen. Wir sind das Volk, also haltet die Fresse!
Nur noch knapp 150 Gegendemonstranten kommen an diesem Montag auf den Postplatz. Die Zeitungen berichten mit einer nüchternen Unaufgeregtheit, die nach all der „Lügenpresse“-Hysterie als Ausweis einer neu gewonnenen Objektivität gelten mag. Wo bleibt unsere Empörung? Hätte diese Großdemonstration vor einem Jahr stattgefunden, wäre sie ein Skandal gewesen. Immerhin noch 2900 Pegida-Teilnehmer zählt die Polizei an jenem 30. März. In Dresden hat man sich längst an höhere Zahlen gewöhnt. In anderen Städten würde man sich für so einen hasserfüllten Haufen immer noch schämen.
Ist es verwegen, diese Dresdner Apathie zu vergleichen mit dem Nihilismus der französischen Gesellschaft, wie
Houellebecq sie in seinem Roman zeichnet? Nahezu ohne Widerstand fügen sich die Protagonisten in „Unterwerfung“ der islamischen Machtübernahme. Kaum jemand muckt auf gegen die Einführung der Scharia und des Patriarchats.
Hauptsache, die sozialen Verwerfungen im Land haben ein Ende. Dies ist die Sehnsucht, die alle Feinde der offenen Gesellschaft eint, ob sie Islamisten sind oder Rechtsreaktionäre oder unverbesserliche DDR-Kleinbürger. Freiheit, Pluralismus, Globalisierung – das alles ist in einer Welt, die immer irrer wird, für viele zu einer unerträglichen Zumutung geworden. Und weil das selbst jene insgeheim nachempfinden, die noch an die offene Gesellschaft glauben, schrumpft deren Kampfgeist zu einem verständnisheischenden Tätscheln der zeternden Angstbürger.
Am erschreckendsten ist, dass sogar gutmeinende Intellektuelle – Hochschulprofessoren, Journalisten, Schriftsteller – Pluralismus und Meinungsfreiheit mit einem totalen Werterelativismus verwechseln. Wenn man diese Haltung zu Ende denkt, dann haben Wutmenschen nicht nur das Recht zu demonstrieren, sondern man sollte sie tunlichst auch nicht kritisieren. Artikel 5 des Grundgesetzes muss wohl um einen Halbsatz ergänzt werden: Jeder hat das Recht, seine Meinung frei zu äußern – und zwar unwidersprochen. In der Konsequenz bedeutet diese Logik der Gleichgültigkeit auch, dass eine absurde Forderung umso weniger absurd wird, je mehr Tausend Teilnehmer ihr hinterherlaufen. Ob ich einen Gedanken gelten lasse, hinge also nicht mehr von dessen Inhalt ab, sondern von der Zahl der Menschen, die ihn teilen. Fällt eigentlich noch jemandem auf, dass dies der wahre Untergang des abendländischen Denkens wäre?
Nicht zufällig konvertiert eine Hauptfigur in Houellebecqs Roman, der Universitätspräsident Rediger, mit besonderem Eifer zum Islam: Er sympathisiert zunächst mit der rechtsextremen Identitären Bewegung, erkennt dann jedoch in der islamischen Machtübernahme die Chance zur Überwindung des liberalen Humanismus, den er so sehr verachtet. Gegen Ende des Buchs bekennt Rediger sein Credo, wonach „der Gipfel des menschlichen Glücks in der absoluten Unterwerfung besteht“. Houellebecqs Roman ist kein islamfeindliches Werk. Er zeichnet den Niedergang einer offenen Gesellschaft, die zu bequem geworden ist, um sich gegen die Anfechtungen ihrer Feinde intellektuell zur Wehr zu setzen. Wenn es das ist, was in Dresden geschieht, dann hätten wir wirklich allen Grund, die Sache verdammt ernst zu nehmen.

Marcus Krämer studierte Politikwissenschaft und Germanistik in Heidelberg. Er ist Leitender Redakteur der „Sächsischen Zeitung“ im Ressort Kultur/Gesellschaft/Reportage.